75. Dialog mit dem besonnenen, gelassenen Bergschaf-Bock über ein wesentliches Leben
Ich: Lieber Bock, ich möchte nochmal auf das Thema KB - künstliche Behinderung zurückkommen.
Bock: Ja sehr gerne. Welche eurer neuen Behinderungen möchtest du denn gerne beleuchten?
Ich: Die soziale. Wir haben uns schon so weit von tiefgehender sozialer Interaktion (mit uns selbst und anderen) entfernt, dass wir uns einreden lassen, dass KI-generierte Kommunikation besser ist als unsere eigene Ausdrucksweise. Eine schon vorhandene Verzerrung der Ansprüche an und Ziele von Kommunikation wird meiner Ansicht nach nochmal verstärkt. Die Fragen, die wir uns stellen sollten sind: welche Art menschlicher Interaktion führt zu einer schöneren Gesellschaft? Ist es gesund und sinnvoll bei den einen Perfektionismus und Selbstoptimierung im obersten Promillebereich zu unterstützen und bei anderen die Selbstkompetenz noch mehr zu untergraben? Ist es sinnvoll immer schneller noch weniger aussagende Texte zu produzieren, die sich in sich selbst immer stärker wiederholen und das Internet zu müllen?
Bock: Naja, eure Beziehungen und eure Kommunikationsfähigkeit stärkt es sicher nicht.
Ich (genervt): Als „persönlich“ und mich „betreffend“ würde ich ja eine von einer KI an mich verfasste E-Mail oder Glückwunschkarte nicht bezeichnen. Und als Kommunikation zwischen dem-/derjenigen, der/die mir eine Botschaft vermitteln will, und mir selbst, würde ich das auch nicht wahrnehmen. Es ist eher „etwas ausrichten lassen“ - „Richte der Michaela aus, dass blablabla … dafür hab ich jetzt wirklich nicht selbst Zeit“ ... ja danke – nimm dir die Zeit, den eigenen Kopf und das eigenen Herz oder sonst kann es nicht so wichtig sein.
Bock: Seh ich auch so. Wenn ich jemandem nichts zu sagen habe, tu ich es persönlich.
Ich (nachdenklich): Ein weiterer Punkt fällt mir dabei ein, zu unserer Kultur und Ausdrucksweise: Wir freuen uns, dass wir uns Bilder, Texte und Songs generieren lassen können (haben dann fast das Gefühl, wir hätten das selbst kreiert) und denken weder über die Qualität noch über die Auswirkungen im Hintergrund nach. Wer soll noch wirklich innovative, kreative und lebendige Kunst produzieren, wenn niemand mehr davon leben kann.
Bock: Ganz zu schweigen vom ökologischen, sozialen und gesundheitlichen Schaden, den die riesigen Serverfarmen vor Ort anrichten: Wassermangel (durch Übernutzung für Kühlwasser) führt bei der ansäßigen Bevölkerung zu gesundheitlichen Problemen und neu errichtete Gaskraftwerke zu Luftverschmutzung und Verschlimmerung der Klimakrise. Abgesehen davon sollten wir Energie nicht verschwenden > Beitrag "Zurück ins Neandertal".
Ich (erbost): Genau. Und darüber hinaus werden Datenarbeiter:innen in afrikanischen Ländern ausgebeutet und erledigen unzumutbare Klickjobs! Damit wir uns KI-Promi-Videos generieren lassen, um uns zu amüsieren? Das ist doch für alle Beteiligten unwürdig!
Bock (schüttelt langsam seinen Kopf): Ja unwürdig. Auch für die Konzerne und Personen, die in eine Blase investiert haben und deshalb versuchen uns KI überall aufs Aug zu drücken.
Wie es bei mir ganz gut funktioniert & was ich selbst beitragen kann
- Lieber alleine, mit dem Bock oder mit Freunden im Wald abhängen und durchs bunte Herbstlaub springen
- Bewusst Freude an meinen geistigen, seelischen und körperlichen Fähigkeiten entwickeln
- Können schätzen. Ich möchte denken, schreiben, lesen, zeichnen, lesen, radfahren und von mir aus auch autofahren können. Ich möchte meine Kommunikation verbessern. Ich möchte mich bewegen, mündiger werden und selbstständiger. Und das in Verbindung mit anderen Menschen und Lebewesen.
- Von Mensch zu Mensch. Kontakte aufbauen und pflegen. Gegenseitige Unterstützung. Ich möchte weiterhin Bücher lesen, die Menschen schreiben (nicht die KI), die etwas erlebt, gefühlt, die nachgedacht haben, die ihr ganzes Wissen, ihre Intuition, ihre gesammelte Gefühlswelt in ihr Tun stecken. Ebensolche Musik möchte ich hören, live und gemeinsam in der Crowd mit anderen die Energie spüren. Ebensolche Bilder möchte ich betrachten, von solchen Filmen möchte ich mich mitreissen lassen.
- Verantwortung für das eigene Leben übernehmen. Über Konsequenzen des eigenen Wirkens nachdenken. Sich fordern. Immer wieder einmal über die Wohlfühlzone hinaus bewegen. Neues angehen. Selbst machen oder mit anderen. Nicht alles glauben und mitmachen, was einem eingeredet werden soll. Eine/n IT-Freund/in um Hilfe bitte, wenn es darum geht, digitale Medien möglichst user-/privacyfriendly und nicht konzern-/überwachungsfriendly zu halten.
Was zu tun ist
Damit aufhören KI zu vermenschlichen!
Politische Forderung: KI mit all ihren Stärken dort einsetzen, wo sie uns als Menschheit weiter bringen kann und wirklich hilfreich ist – immer unter Beachtung des horrenden Energieverbrauchs, der Ausnutzung menschlicher Datenarbeiter:innen und der inherenten Schwächen wie Halluzination oder Verzerrung aus den herangezogenen Trainingsdaten.
Energiewende, Green Deal und Open Source unterstützen.
Sich Gemeinschaften anschließen und unterstützen.
Kultur, Kunst und Bildung fördern und genießen.
Literatur & Links
Artikel/Kolumne
1. zu Vermenschlichung der KI
derStandard.at: Alles falsch gemacht. Hört endlich auf, KI zu vermenschlichen! Kolumne von Andreas Proschofsky; 14. November 2025
Viele Hersteller stellen ihre Chatbots als Partner, als Freund mit individueller Persönlichkeit dar. Das ist gefährlich, das ist verantwortungslos und schlicht: falsch
"... Anthropomorphisierung nennt man auf alles Mögliche menschliche Eigenschaften zu projizieren, seien es Tiere, Pflanzen oder eben Künstliche Intelligenz. Verschärft wird das noch einmal durch das generelle Bestreben, alles mit Bedeutung aufzuladen, bei dem man nicht versteht, wie es funktioniert ... Ein Chatbot hat keine Intention, keine Gefühle, kein Bewusstsein. Das dahinterstehende LLM liefert auf eine Frage – zugegeben grob vereinfacht – die statistisch wahrscheinlichste Wortfolge. Dass die Ergebnisse auf uns oftmals verblüffend wirken, liegt schlicht an der Dimension der Daten, die es uns nicht möglich macht, zu begreifen, wie das geht. Die Neigung zur Aufladung mit menschlichen Eigenschaften ist es wiederum, die viele selbst oft wider besseres Wissen davon abhält, solche Chatbots als das zu benennen, was sie sind: Eine Wortmaschine. Ein Tool. Ein in mancherlei Hinsicht sehr mächtiges, keine Frage, aber eben: Ein Tool. Und keine Form von Intelligenz oder gar Bewusstsein ...
Doch es gibt noch einen anderen Faktor, der dafür eine wichtige Rolle spielt: unsere Selbstverliebtheit. "Du hast vollkommen recht": Ein Satz, den jeder gerne hört. Ein Satz, der schmeichelt. Ein Satz, der allerdings im Alltag nicht so oft zu hören ist, wie es viele wohl gerne hätten. Außer natürlich, man holt sich sein Feedback vom Chatbot. Dort kommt das nämlich dauernd. Die Schmeichelei ist kein Zufall, er gehört zum Kernkonzept dieser Systeme. Ein Chatbot, der allzu direkt und offen antwortet, das würde die Nutzerinnen und Nutzer schnell vertreiben. Also sind diese Chatbots auf Freundlichkeit, auf Affirmation getrimmt. "Sycophancy" heißt der passende englischsprachige Begriff für dieses Phänomen, den man landläufig mit "Arschkriecherei" übersetzen könnte. "
Quelle: https://www.derstandard.at/story/3000000296312/hoert-endlich-damit-auf-ki-zu-vermenschlichen
Siehe dazu auch auch: Eliza-Effekt
https://en.wikipedia.org/wiki/ELIZA_effect
2. Was durch KI mit dem Internet passiert
derStandard.at: TOTES INTERNET. Wie wir das Internet an die Künstliche Intelligenz verlieren; Analyse von Tobias Schwaiger, 26. Juni 2025
Laut der "Dead Internet Theory" gleicht das Netz einer Spielwiese der KI-generierten Interaktionen, menschliche Inhalte geraten in den Hintergrund. Ist das Internet gar schon tot?
https://www.derstandard.at/story/3000000274102/wie-wir-das-internet-an-die-kuenstliche-intelligenz-verlieren
TAZ.de: Künstliche Intelligenz und Vermüllung; KI killt das Web, 29.3.2024
Jetzt, wo nahezu alle KI benutzen können, gilt vor allem eins: Das Netz quillt vor KI-generiertem Müll über. Ist das Internet noch zu retten?
Süddeutsche Zeitung: Künstliche Intelligenz: Willkommen im Sumpf; Essay von Andrian Kreye, 4. November 2025
"Wenn sie ihre eigenen Erzeugnisse verwerten, werden die KI-Generatoren erst immer gleichförmiger. Irgendwann ergeben sie keinen Sinn mehr."
"Inzwischen gibt es im Internet mehr künstlich erzeugte Texte als von Menschen geschriebene. Und jetzt kommen auch noch realistisch aussehende KI-Videos dazu. Das Netz droht zu kippen."
Websites
NOYB
noyb ist eine spendenfinanzierte NGO mit Sitz in Wien, Österreich, die sich für die Durchsetzung von Datenschutzgesetzen – mit Fokus auf die DSGVO und die ePrivacy-Richtlinie – einsetzt. Unser Team aus 20 Rechts- und IT-Expert:innen aus ganz Europa arbeitet daran, dass Unternehmen das Recht auf Privatsphäre wahren.
IO
Berufsverband für Illustrator:innen: Wir gestalten unseren Beruf, indem wir definieren, wer wir Illustrator:innen sind, was wir tun und was es dafür benötigt. Wir leisten politische Arbeit, um exakt diese benötigten Rahmenbedingungen durchzusetzen und Wir fördern faire Honorierung, indem wir die besonderen Leistungen von Illustrator:innen veranschaulichen und einen Rahmen für angemessene Vergütung setzen.
https://illustratoren-organisation.de/kuenstliche-intelligenz/
Buch
Ingrid Brodnig, 2019: Übermacht im Netz: Warum wir für ein gerechtes Internet kämpfen müssen, Brandstätter Verlag, Wien 2019, ISBN 978-3-7106-0366-2.
Inhalt
Im Internet geben große Plattformen den Ton an. Rasant steuern wir auf eine Zukunft zu, in der die Bürger ohnmächtig sind. Unternehmen wie Facebook, Google und Amazon häufen enormen Reichtum an – und zahlen so gut wie keine Steuern. Im Eiltempo arbeiten diese digitalen Riesen an einem Umbau der Gesellschaft: Ganze Branchen werden „disruptiert“ und durch billigere Arbeitskräfte, Software und Roboter ersetzt. Der Mensch wird zur gewinnbringenden Datenquelle reduziert. Doch wir können uns wehren! Ingrid Brodnig hat Schauplätze des digitalen Wandels – von Amazons Lagerhallen bis zum Silicon Valley – besucht und liefert einen flammenden Appell für einen Neustart im Netz. Ihr Buch hilft jedem einzelnen, unfaire Mechanismen des Digitalzeitalters zu durchschauen. Und es liefert konkrete Empfehlungen, wie wir auch online Bürgerrechte verteidigen können. Höchste Zeit, ein gerechtes Internet einzufordern!
